Brakel (red). "Wie alle bisher in Deutschland bestehenden Nationalparke wird auch der Egge-Nationalpark ein Erfolg werden. Es gibt keinen Grund, der dagegen spräche, waren sich die geladenen fünf Fachleute für Nationalparks und Naturschutz einig. Ein Nationalpark Egge wäre ein Segen für die Natur und ein Gewinn für die ganze Region und die hier lebenden Menschen" - Das war die Botschaft der Informationsveranstaltung in der gut gefüllten Stadthalle von Brakel, zu der der BUND, Kreisgruppe Höxter, eingeladen hatte.
Die Kreisgruppe des BUND-Höxter berichtet: Die ökonomischen Daten zu dieser Wertung lieferte Prof. Dr. Bernd Stecker von der Hochschule Bremen. So belegte er, dass die öffentlichen Investitionen in die Nationalparke sich nicht nur für die von dieser Förderung profitierenden Regionen lohnen, sondern auch für das jeweilige Bundesland. „Die zusätzlichen Einnahmen durch den Länderanteil an der Mehrwertsteuer, die auf den Tourismus zurückgeht, übersteigen die Etats für die Nationalparke zum Teil deutlich“, berichtete er. Aus ökonomischer Sicht habe die Egge als Nationalpark besonders vielversprechende Voraussetzungen: kein anderer Nationalpark in Deutschland sei mit der Bahn und einer ICE-Strecke so gut verkehrlich erreichbar, und die Kombination von Gesundheitsregion und Naturtourismus passe ideal zusammen.
So unterschiedlich die Nationalparke auch seien, ob zuvor mit langjährig etabliertem Tourismus wie Schwarzwald oder Harz oder ob erst neu zugänglich nach langer militärischer Nutzung wie in der Eifel oder dem Hainich: sie alle haben den touristischen Erfolg gemeinsam. Inklusive zugehöriger Wertschöpfungsketten werde dadurch die ganze jeweilige Nationalparkregion bereichert, machte der aus dem Kreis Höxter stammende Fachmann für Schutzgebietstourismus deutlich.
Diese Forschungsergebnisse ergänzte Dr. Friedhart Knolle, 1. Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung des Nationalparks Harz e.V., mit seinen praktischen Erfahrungen aus der Harzer Nationalparkarbeit. „Die Nationalparke in Deutschland werden von Praktikern geleitet, nicht von Ideologen“, machte er zu Beginn seiner Ausführungen klar. Er bekannte, dass er ursprünglich skeptisch war, ob ein Nationalpark das Richtige für den Harz wäre. Aber die Befürchtungen, ob ein solches Schutzgebiet in die deutsche Waldkulisse passe, wurden von der Wirklichkeit schnell widerlegt. Im Gegenteil sei es gelungen, mit einem guten Nationalparkmanagement, mit viel Kommunikation und Kooperation eine Erfolgsgeschichte zu schaffen. Indiz dafür seien nicht nur die positiven Entwicklungen bei der Ökologie und beim Tourismus. „Auch das beeindruckende ehrenamtliche Engagement für den Nationalpark Harz zeigt mir, dass wir Überzeugendes leisten“, freute sich Dr. Friedhart Knolle. Denn: „Ehrenamtliche Arbeit kann man nicht erzwingen.“ Und er machte darauf aufmerksam: „Auch diese Informationsveranstaltung hier und heute ist das Werk von Ehrenamtlichen.“
Er schloss seinen Vortrag mit der Erkenntnis: „Ganz früher war nur Wandern in. Nun, die Moden kommen und gehen: mal ist es Nordic-Walking, mal Waldbaden, dann wieder etwas anderes. Was bleibt, ist der Sehnsuchtsfaktor Natur.“ Deswegen haben Nationalparke auch aus touristischer Sicht Zukunft. Dr. Tanja Busse ging noch einen Schritt weiter und sagte: „Wenn es durch die Klimaveränderung im Mittelmeerraum für den Sommerurlaub zu heiß wird, dann wird Deutschland als Urlaubziel immer wichtiger.“ Es wäre gut, mit einem Nationalpark Egge ein attraktives touristisches Angebot für diese sich verlagernde Nachfrage anbieten zu können.
Sie argumentierte für den Egge-Nationalpark allerdings in erster Linie ökologisch. „Wir erleben gerade das sechste Massenaussterben auf dieser Erde. Und es ist von uns Menschen verursacht“, analysierte sie. „Damit schwächen wir das Netz des Lebens ganz massiv. Wir können gar nicht ermessen, wie sehr, und das ist hochriskant. Denn wir Menschen sind ein Teil davon und darauf angewiesen“, machte die Journalistin deutlich. Das sei die dramatische Realität. „Vor diesem Hintergrund gibt es die internationalen Abkommen zum Erhalt der Biodiversität. Deutschland hat sich dazu verpflichtet, 2 Prozent seiner Landesfläche unter strengen Schutz zu stellen. Mit aktuell 0,6 Prozent sind wir noch weit davon entfernt, unsere Pflicht zu erfüllen“, bilanzierte Tanja Busse. Nationalparke seien ein zentrales Instrument für diesen starken Naturschutz. Ein zweiter Nationalpark in NRW sei deshalb unbedingt notwendig und von deutschlandweiter Bedeutung, „eingebettet in eine Kulturlandschaft, in der wir immer mehr lernen, naturverträglich zu wirtschaften“, sagte die Journalistin mit Blick auf die Ökomodellregion Kreis Höxter und den dort ansässigen Bundesverband der Regionalbewegung. Es brauche beides: mehr Schutz der höchsten Kategorie und weniger Beeinträchtigung der Natur auf allen anderen Flächen. Die positive Nachricht sei: „Wildnis wirkt. Die Praxis beweist: Natur kann sich wieder erholen, wenn wir ihr die Möglichkeit dazu bieten. Und wir Menschen können wiederum in vielfacher Hinsicht davon profitieren.“
Dass die Egge vor allen anderen denkbaren Gebieten in NRW am besten für den zweiten Nationalpark geeignet ist, sei in der Fachwelt unstrittig, berichtete Dr. Günter Bockwinkel. Er brachte die besonderen Qualitäten des Gebietes mit seiner Präsentation und mit einer Fülle eindrucksvoller Naturfotos nahe. Die Bedeutung des sich lang erstreckenden Areals liege unter anderem in seiner geologischen Vielfalt, in seinem Wasserreichtum und in seiner Verbindungsfunktion mit anderen Naturräumen. Das erklärte der landschaftsökologische Gutachter mit humoriger Note am Beispiel der Wildkatze. In der Egge begegnen immer wieder einzelne Exemplare aus weiter entfernten Regionen den in den Eggewäldern beheimateten Tieren: „Damit ist die Egge für die Wildkatze das, was im Hochstift die Schützenfeste sind: ein Treffpunkt für die Mischung der Populationen.“
Darüber hinaus wies er darauf hin, dass es beim Nationalpark darum geht, inmitten der üblichen Forstbewirtschaftung, die selbst in Naturschutzgebieten stattfindet, eine Ausnahme für die freie Natur zu schaffen. Erst das biete die besonderen Entwicklungsmöglichkeiten, jahrhundertealte Wälder und deren einzigartige Lebensgemeinschaften hervorzubringen. Das könne selbst vorbildlich arbeitende nachhaltige Forstwirtschaft nicht im erforderlichen Maß leisten.
Diesen Aspekt griff Ulrich Eichelmann in seinem Beitrag auf. Er betonte: „Unsere Landschaft ist dermaßen naturfern, dass wir Natur kaum noch kennen. Die Frage ist doch, wie soll unser Land, wie soll unsere Heimat in Zukunft aussehen. Wollen wir irgendwas bei uns nicht regulieren oder zerstören, soll es irgendwo noch Natur geben oder nicht?“ Und er machte deutlich: „Weniger als ein Drittel der Wälder in Deutschland sind naturnah, und nur verschwindend geringe 0,2 Prozent weisen einen geschützten alten Baumbestand auf. Der Nationalpark Egge bietet eine Chance auf erlebbare Natur in einer in weiten Teilen durch intensive Nutzungen degradierten Landschaft.“
Und dann erzählte er von zwei Beispielen, wie es gelungen ist, gegen alle Erwartungen und enorme Widerstände große Flussgebiete vor der Zerstörung zu retten und sie als Nationalparke zu schützen: die Donauauen bei Wien und das Flusssystem der Vjosa in Albanien. Zunächst ging in beiden Fällen die Initiative von nur einigen wenigen Naturschutzaktivisten aus, unter ihnen Ulrich Eichelmann. Ihnen gelang es nach und nach, Wirkung in weite Bevölkerungskreise hinein zu erzielen oder sogar weltweite Unterstützung zu gewinnen. Am Ende gab es einen erfolgreichen Volksentscheid für den Nationalpark Donauauen, und im Fall der Vjosa gab es in Albanien einen Staatschef, der mit dem ersten Wildfluss-Nationalpark Europas Geschichte schrieb.
Auf den Einwand eines Zuhörers, dieser Vortrag habe ihn zwar emotional berührt, aber rein aus einem Gefühl heraus könne man doch nicht seine Entscheidung treffen, erwiderte Ulrich Eichelmann: „An Wissen fehlt es uns nicht. Der Zustand der Welt ist uns vom Verstand her klar.“ Aber das genüge offenbar nicht, um auch entsprechend zu handeln. „Dass wir hier auf dieser Veranstaltung sind und für einen Nationalpark Egge kämpfen müssen, obwohl die Sachlage eindeutig ist, zeigt doch: Informationen alleine reichen nicht. Die Herzen der Menschen müssen gewonnen werden.“
Moderatorin Katharina von Ruschkowski zog das Fazit: „Der heutige Abend hat gezeigt, dass und wie demokratischer Streit gelingen kann. Das ist gelebte Demokratie.“ Und sie bat darum: „Nutzen Sie Ihre Chance zum Bürgerentscheid – egal, wie Sie sich entscheiden. Mitmachen und mitbestimmen zu dürfen macht grad jetzt in Zeiten von Krisen und Kapriolen Mut und tut gut.“ Und sie gebe allen die Botschaft mit auf den Weg: „Sollte der Nationalpark kommen, ist er nicht einfach da und fertig. Er braucht Sie, wird von Ihnen und Euch geprägt und gemacht. Seien Sie dabei!“
Es heißt, es braucht ein ganzes Dorf, ein Kind großzuziehen. Diese Veranstaltung machte deutlich: es braucht viele gute Argumente für einen Nationalpark - und sie sind längst schon vorhanden. Es braucht zusätzlich einen Funken, der die Menschen begeistert. Das gelang an diesem Abend mit fünf überzeugenden Fachleuten, mit einer ebenso warmherzig wie konsequent durch das Programm führenden Moderatorin Katharina von Ruschkowski und mit einem überwiegend aufgeschlossenen Publikum, das in die Lage versetzt wurde, weitere Menschen vom Egge-Nationalpark zu überzeugen.
Eine Besucherin meinte anschließend: „Diese Veranstaltung ist so wertvoll gewesen, ich wünschte, alle, die bei den Bürgerentscheiden in den Kreisen Höxter und Paderborn abstimmen dürfen, hätten sie miterleben können.“ Auch wenn dies ein unerfüllbarer Wunsch bleiben musste, so wollen doch die Veranstalter dafür sorgen, dass in Kürze die Präsentationen des Abends im Internet nachgeschaut werden können. Außerdem stehen die Vortragenden für weitere Veranstaltungen zur Verfügung. Und Dr. Friedhart Knolle lud kurzerhand dazu ein, den Nationalpark Harz zu besuchen. Er wolle gerne für die Führung sorgen.
Was braucht es für einen Nationalpark in der Egge? Mit zwei erfolgreichen Bürgerentscheiden in den Kreisen Höxter und Paderborn wäre diese Frage beantwortet.
Foto: Claudia Viotto