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Freitag, 29. November 2024 Mediadaten
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Bad Karlshafen (red). Der im Stil der Ruinenarchitektur errichtete Hugenottenturm aus der wilhelminischen Ära wurde mit Einverständnis der Stadt Bad Karlshafen mit einem strahlend gelben „W“ ausgestattet. Das gelbe „W“ symbolisiert den Widerstand der Bürger im Dreiländereck gegen das geplante Atommüll- Logistikzentrum Würgassen. Initiator der Aktion ist Atomfreies 3-Ländereck e.V., Stifter sind die Unternehmer Metallbau Hans Jörg Kleinschmidt und Frank Bönning vom SolarTeam 3 Ländereck aus Lauenförde.

Bereits 2020 hatte der Bürgermeister der Stadt Bad Karlshafen, Marcus Dittrich, neben weiteren betroffenen Städten ein Gutachten zur Untersuchung der Standortentscheidung finanziell unterstützt. Dieses hatte die Entscheidung der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) als rechtswidrig bewertet. Aufgrund der starken Proteste gegen das Vorhaben der BGZ, die im Auftrag des Bundesumweltministeriums tätig ist, hatte sich in der Folge ein Standortarbeitskreis heimischer Bundestagsabgeordneter, kommunalpolitischer Vertreter und Bürgerinitiativen konstituiert, um gemeinsam mit der BGZ einen Konsens zu erarbeiten. Hierdurch sollte ein transparentes Verfahren unter Wahrung regionaler Interessen ermöglicht werden. Die praktische Umsetzung verläuft laut Ansicht der Bürgerinitiative Atomfreies 3-Ländereck e.V. jedoch unbefriedigend. Bereits das Ergebnis der ersten Sitzung hat gezeigt, dass eine konstruktive Arbeit mit der BGZ kaum möglich ist.

Bei der Vergabe eines neuen Gutachtens, welches von den Landesregierungen aus NRW und Niedersachsen in Auftrag gegeben werden soll, wurden die regionalen Vertreter bisher nicht eingebunden. Der Umweltminister von Niedersachsen, Olaf Lies, überraschte bereits im Vorfeld der Arbeitskreissitzungen mit der Pressemitteilung, dass das Ausschreibungsverfahren zur gutachterlichen Bewertung der Standortentscheidung nahezu abgeschlossen sei. Auf die direkte Nachfrage zur Situation beim zuständigen Landesministerium in NRW erhielt die Bürgerinitiative die Antwort, dass eine „Leistungsbeschreibung“ nur für offene Fragen zu Lagerungs- und Transportprozessen erstellt wird. „Sollten die Vertreter der Region keine Teilhabe bei der Erstellung des Leistungskatalogs erlangen, läuft die Politik erneut Gefahr, keine Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung zu bekommen.“, mahnt Martin Hoppe, Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative. Nicht nur er ist der Meinung, dass die aktuellen Entwicklungen mit Transparenz und Bürgerbeteiligung nichts zu tun habe. Auch Pastor Daniel Fricke aus Bad Karlshafen zeigt sich kritisch: „Man hat als Bürger nach wie vor den Eindruck, dass man nicht ernst genommen wird.“

Dabei sind objektive Untersuchungskriterien zur Standortauswahl eines atomaren Zwischenlagers nicht neu zu definieren. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat bereits im Jahr 2012 einen entsprechenden Kriterienkatalog zur Standortidentifikation für ein Zwischenlager entworfen. Dieser Katalog wurde aktuell auch für die Standortfindung des geplanten Zwischenlagers am Standort Asse angewandt. Die dort berücksichtigten Liegenschaften wurden unter den Kriterien „Technische Aspekte, Landschaft und Erholung, Lebensräume, Flora und Fauna, Naturgefahren und Ressourcenschonung“ untereinander bewertet. Bei der Standortentscheidung zum atomaren Logistikzentrum in Würgassen, welches nach Angaben der BGZ wie ein Zwischenlager einzuordnen sei, wurde keines dieser Kriterien vergleichend mit anderen Standorten bewertet. Maßgeblich für die Entscheidung der BGZ für Würgassen waren die Entfernung zu einem Bahngleisanschluss und die schnelle Verfügbarkeit. Weitere zwingend notwendige Aspekte wurden auf die gesetzlichen Mindestanforderungen im Regelbetrieb reduziert und sollen erst im Genehmigungsverfahren erbracht werden, wobei ein Vergleich unter Stresstestbetrachtungen unberücksichtigt bleibt. Aber beinhaltet der tägliche Regelbetrieb nicht grade auch ungeplante Vorkommnisse? Insbesondere dann, wenn es sich um ein Generationenlager mit ständigen Gefahrgutbewegungen handelt? Ausnahmesituationen müssen in dem Fall zum Schutze der Bevölkerung berücksichtigt werden. Besonders dann, wenn sich das gesamte Risikopotential auf eine Region zentralisiert. Stattdessen versucht die BGZ die Standortauswahl mittels der „Transportstudie Konrad“ aus dem Jahr 2009 zu legitimieren. Diese Transportstudie basiert auf einer hervorragenden Verkehrsinfrastruktur mit guter Straßen- und Gleisanbindung bei einem Transportvolumen von im Mittel 50 Transporteinheiten pro Woche. Diese logistischen Voraussetzungen sind in Würgassen jedoch nicht gegeben. Weiterhin wird das wöchentliche Transportvolumen um ein Vielfaches höher sein, da im Endlager Konrad ein Zweischichtbetrieb angestrebt wird.

Im Fazit kann feststellt werden: Bei einer Umsetzung des ZBL wird die betroffene Bevölkerung in Standortnähe Würgassen unter sicherheitstechnischer Betrachtung deutlich schlechter geschützt, als es die „Transportstudie Konrad“ bei der ursprünglich geplanten direkten Anlieferung zum Endlager vorsah.

Folgerichtig wird das Vorgehen seitens der Bundesbehörde von der geschädigten Bevölkerung nicht kritiklos hingenommen. Dr. med. Th. Fußgänger-May bemängelt „Die BGZ äußert sich zum Thema Strahlenbelastung nur unzureichend. Eine nicht messbare Strahlung an der Grundstücksgrenze mag für eingelagerte Atomgebinde wohl zutreffend sein. Zum geplanten logistischen Vorgehen gehören aber auch der An- und Abtransport des Atommülls sowie mögliche Entgasungen von Atomgebinden (teilweise müssen Gebinde geöffnet werden). Insbesondere diese Vorgänge können eine zusätzliche Strahlenbelastung für die Bevölkerung bedeuten, auch dann, wenn definierte Grenzwerte hier eingehalten werden. Was im Rahmen einer Havarie auf Straße oder Schiene (täglich bis zu 30 Bewegungen) an Strahlung freigesetzt werden könnte, mag man sich lieber erst gar nicht vorstellen.“ Was bei einer Havarie für die betroffene Region zu erwarten ist, wurde in einer Untersuchung zur Sicherheit bei der Beförderung radioaktiver Stoffe durch die Gesellschaft für Anlagen-und Reaktorsicherheit (GRS) mbH 2014 dargestellt. Bei einer realitätsnahen Betrachtung im Nahbereich zum Unfallort von 20 m ergibt sich eine um den Faktor 10 höhere Strahlungsintensität, als in der Transportstudie Konrad dargestellt wurde. Dort wurde lediglich eine Entfernung von 150 m zum Unfallort betrachtetet. Aus diesem Grunde sorgt sich der ehemalige Direktor der Gesamtschule Bad Karlshafen Karl-Erwin Franz um die ca. 600 Schüler aus der Region. „Deren tägliche Schulwege kreuzen sich bzw. sind identisch mit den geplanten Transportstrecken der Atommülltransporte.“ Olaf Brückner, Vorsitzender der Werbegemeinschaft Bad Karlshafen befürchtet neben einer möglichen gesundheitlichen Gefährdung der Bevölkerung auch negative Auswirkungen auf den Tourismus. „Die Sorge der Mitglieder der Werbegemeinschaft Bad Karlshafen e.V. ist, wie in der JHV zu hören war, die Nähe aller Geschäfte zur B80. Dadurch ergibt sich automatisch eine negative Resonanz auf die neu gewonnene Attraktivität der Hafenstadt. Welcher Gast möchte seinen Besuch neben durchfahrenden Strahlenmülltransporten verbringen? Eine Abwanderung von Urlaubern in andere Regionen ist zu befürchten.“ Zudem prekär: ein Streckenabschnitt von ca. 20 km des beliebten Weserradwegs verläuft direkt an der künftigen Atommüll-Bahntrasse.

Frank Schmidt, Leiter der Klinik Carolinum und damit einer der größten Arbeitgeber der Stadt Bad Karlshafen befürchtet erhebliche Verkehrs- und Lärmbelästigungen für über 200 Reha-Patienten der Klinik und für 95 Bewohner des angeschlossenen Seniorenwohnsitzes. „Kommt es, wie in der Verkehrsstudie der BGZ vorgesehen zur intensiven Nutzung der Bundesstraße 80, rollen die Atommülltransporte per LKW direkt vor dem Haupteingang der Einrichtung und den Patientenzimmern entlang. Und das ist nur der eine Teil“, so Schmidt. „Weitere Atommülltransporte werden per Bahn auf der anderen Seite der Klinik, 250 Meter entfernt von Patientenräumen mit Weserblick und am Kurpark gelegen, entlang des Weserufers transportiert. Ein Unterfangen, welches die Attraktivität des Gesundheitsstandorts absolut beeinträchtigen wird.“

Dipl. Kaufmann Paul Weskamp, Bankkaufmann (Ottbergen, NRW) und Vorstandsmitglied des Vereins atomfreies Dreiländereck e.V. gibt unter den bekannten Rahmenbedingungen zu bedenken, dass sich das geplante atomare Logistikzentrum nicht positiv auf die geschaffenen Sachwerte der Anwohner auswirkt. „Ein massiver Preisverfall von Immobilien und Liegenschaften sind die Aussicht der Bürger in den Regionen. Zudem wird den nachfolgenden Generationen eine dauernde Last auferlegt, die viele Jahrzehnte real sein wird und sachlich, wie auch fachlich jedwedem Sachverstand entbehrt. Auch eventuelle Ausgleichszahlungen an die Regionen können keine intakte Heimat ersetzen“.

Diverse Unternehmen befürchten, dass die ländliche strukturschwache Region durch den Atommüll zusätzlich an Attraktivität verlieren wird. Dies wird sich bei der überregionalen Suche nach jungen qualifizierten Arbeitskräften negativ bemerkbar machen. Der Geologe Dr. Claus Schubert aus Trendelburg bemängelte im November bei einem Vortrag in der Stadthalle Hofgeismar das bislang vorgelegte Bodengutachten der BGZ als unzureichend und stuft das Terrain als geologisch unsicher ein. Durch die unmittelbare Flussnähe müssen Hochwassergefahren laut Gutachten mittels umfangreicher Geländeaufschüttung reduziert werden. Dies ist insbesondere in Anbetracht des Klimawandels nicht mehr zeitgemäß.

Dass die genannten Sorgen und Bedenken nicht grundlos sind, unterstreicht die von der BGZ in Auftrag gegebene rudimentäre Transportstudie der Fa. Nusec. Die mangelhafte Infrastruktur wird künftig den Alltag aller Menschen entlang der Transportstrecken im Wesertal negativ beeinträchtigen und die Unfallrisiken deutlich erhöhen. Das von der BGZ angestrebte Transportverhältnis zwischen Bahn und LKW ist kritisch zu hinterfragen. Da etliche der zu leerenden Zwischenlager über keinen Bahnanschluss verfügen, könnte die Anzahl der LKW-Transporte höher ausfallen als derzeit angegeben.

Die BGZ hingegen zeigt sich nach wie vor unbeeindruckt von den Bedenken der betroffenen Kommunen und Bürger und setzt ihre Planungen unbeirrt fort. Mit der Stellung eines Bauantrags und anschließender Einleitung des Genehmigungsverfahrens ist im Frühjahr 2022 zu rechnen. Rückendeckung erhielt die BGZ offensichtlich bis dato von den politischen Entscheidungsträgern in Berlin. So wurden in Frage kommende Standorte in Niedersachsen von vornherein politisch ausgeschlossen, da man sich offenkundig auf die Anwendung der sogenannten „Lastenteilung“ geeinigt hat. Die führt in der Regel zu deutlich teureren Lösungen bei schlechterer Sicherheitslage. Da der Gesetzgeber die Anwendung eines sachlich definierten Standortauswahlverfahrens für schwach- und mittelradioaktiven Müll nicht zwingend vorschreibt, führt dies zu derartig unsachlichen Entscheidungen wie im Fall Würgassen. Dennoch müssen Vorschriften, wie die Minimierung gesundheitsschädigender Strahlung, die Reduzierung von Unfallrisiken, die Einhaltung von Raumordnungsplänen und auch der sparsame Einsatz öffentlicher Finanzen, beachtet werden. Gleiches gilt für eine angemessene Öffentlichkeitsbeteiligung. All dies sind Kriterien und Grundsätze, welche nach Ansicht vieler Bürger im Fall Würgassen nicht berücksichtigt wurden. Die Region möchte sich der Verantwortung bei der Entsorgung der atomaren Hinterlassenschaften nicht entziehen und sich einem qualifizierten und transparenten Auswahlverfahren mit anderen Standorten stellen. Da das verantwortliche Bundesamt dieses übliche Vorgehen den betroffenen Bürgern bislang verwehrt und stattdessen mit fadenscheinigen Argumenten agiert, liegt die Hoffnung der Menschen aus der Region im zukünftigen Handeln der neuen Bundesregierung. Nimmt man die Aussagen gewichtiger politischer Persönlichkeiten wie Annalena Baerbock, Christian Lindner und Jürgen Trittin ernst, muss dies zwangsläufig zu einem Neubeginn des Standortauswahlverfahrens führen. Bis es soweit ist, erstrahlt das gelbe Widerstands-W über der Stadt. Eine beeindruckende „Skulptur“ hoch oben am Weserberghang der Diemelmündung, auf welche die nordhessische Stadt in der documenta Region gerne verzichtet hätte.

Foto: Markus Löschner

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